Zeichen des Mensch-Seins

Hin und wieder kommt es vor, dass auf Spaziergängen in der Natur, der Blick gefangen wird von etwas Ungewöhnlichem. Gerade ging ich noch, vielleicht in sogar sorgenvollen oder profanen Gedanken versunken, durch eine bekannte und darum berechenbare Landschaft, wie zum Beispiel dem heimischen Wald oder im Urlaubsort beim täglichen Gang zum Meer. Doch plötzlich durchbricht völlig unerwartet, ein neuer, ungewöhnlicher Anblick die Routine.

Steintürme sind sicher eines der ursprünglichsten Kunstwerke des Menschen

Da ist etwas. Etwas, was sonst nicht da ist und was mir deutlich macht: Ich bin nicht allein. Irgendwie sind mir in solchen Momenten Gefühle aus meiner Kindheit wieder nah. Damals beim Robinson-Crusoe-Spiel fühlte es sich auch so an, als erste Zeichen, einer anderen Person auf der vermeintlich einsamen Insel, „entdeckt“ wurden. Ich bin nicht allein. Noch jemand befindet sich hier und dieser Jemand hinterlässt kleine Zeichen. Oder vielleicht sind es auch kleine Botschaften.

Zwei Kreise? Eine Acht? Wer mag all die Schneckenhäuser gesammelt haben um diese Nachricht zu hinterlassen?

Abrupt enden die Gedankenströme, die mich noch eben gefangen hielten. Für einen kurzen Moment bin ich ganz hier und spüre einen Augenblick lang, die Veränderung, nicht nur in der Umgebung, auch in mir selbst. Eine stille Freude macht sich im Herzen breit. In der ruhigen Betrachtung des Fundes wird ein Lächeln unvermeidbar. Dann trete ich näher und untersuche den Fundort. Ich versuche auch ein Empfinden für die Stelle zu bekommen, an der jemand anderes diesen Hinweis hinterlassen hat. Warum hier? Weil die Materialien dort lagen und danach gerufen haben, zu einem Kunstwerk umgestaltet zu werden?

Geheimnisvolle Zeichen am Wegesrand

Was ist es, dass zu solchem Tun auffordert? Auf jeden Fall Freude am Sein und am Gestalten der Wirklichkeit. Der Mensch möchte in seinem Leben Zeichen hinterlassen. Er möchte zum Ausdruck bringen: Ich bin hier gewesen. Hier an diesem Platz habe ich die Umgebung verändert. Ich denke, dass die Handlung selbst, das Schaffen solcher kleinen Kunstwerke, im Vordergrund steht. Dazu gesellt sich sicher der Gedanke oder Wunsch, jemand möchte die Botschaft entdecken.

Mich regt das Ensemble von Totholz und Christbaumkugeln zum Nachdenken an. Wie kamen sie wohl hierhin?

Vielleicht freut sich die Finderin und versteht den zum Beispiel hintergründigen Humor dieser Installation und so geschieht etwas wie ein Austausch, in der Künstlerin, wie Betrachterin als Zeuginnen reinen Bewusstseins anonym bleiben und so den Gegenstand in den alleinigen Vordergrund stellen. Für den Schöpfer bleibt der Betrachter quasi unsichtbar und umgekehrt.

Wieder ein Schneckenhaus- dieses mal künstlerisch gestaltet.

Trotzdem sind die beiden verbunden. Sie sind es eben durch die veränderte Wirklichkeit. Oder noch genauer, durch die Handlung, die zu dieser Veränderung geführt hat. Man kann also sagen, Handlungen können Menschen miteinander verbinden, die sich nicht kennen müssen, die noch nicht einmal zur gleichen Zeit leben müssen. Ich denke da auch an dauerhaftere Kunstwerke, wie Gemälde, Gedichte oder Musikkompositionen deren Vorhandensein immer aufs Neue Menschen mit dem Künstler verbinden, sooft sie angesehen oder gehört werden.

Schon der Anblick der maroden Statue öffnet den Raum für Stille und Besinnlichkeit.

Doch nicht nur in der Kunst verbinden Handlungen, und die so erzeugten Werke, uns Menschen miteinander. Jede Tat hinterlässt Zeichen und Botschaften für andere. Wir müssen nur achtsam genug sein, sie auch zu wahrzunehmen. Wir müssen unseren Blick schärfen und genau hinsehen. Dann können wir erkennen, dass alles mit uns vernetzt ist. Das gilt für den Anbauer der Banane, die wir verzehren ebenso, wie für die Arbeiter, die unser neues Fahrrad geschweißt und lackiert haben auf dem wir radeln oder für die Näherin unserer Jeans, in der wir so gut aussehen. Jemand hat all diese Dinge hergestellt. Sie sind nicht vom Himmel gefallen. Andere Menschen hatten all diese Sachen in ihren Händen und sie für uns gefertigt, so wie auch vielleicht wir für andere Gegenstände herstellen, ohne die späteren Verbraucher zu kennen. Aber wir empfangen in unserem Dasein ständig Botschaften. Dessen können wir versuchen uns bewusst zu sein. Wir können zum Beispiel an unseren Mit-Bruder oder -Schwester in dem fernen Herstellungsland denken und ihm und ihr gegenüber Dankbarkeit empfinden, dass wir nun in den Genuss beispielsweise dieser Banane kommen können.

Glöckchen – Wem gilt ihr leises Läuten?

Es fällt mir eine Geschichte ein, die ich einmal im Fernsehen sah. Ein mehrfacher Familienvater, ich glaube es war in Bangladesh, heftete einen schäbigen kleinen Zettel mit einem, in dürftigem Englisch verfassten, Hilferuf an eines der Oberhemden, die in der Fabrik, in der er für einen Hungerlohn arbeiten musste, hergestellt wurden. Er konnte seine Familie kaum ernähren und war sehr verzweifelt. Natürlich war seine geheime Nachricht verboten und für ihn nicht ungefährlich, denn es befand sich seine Adresse auf dem Schreiben. Aber das Wunder geschah. Der Zettel wurde bei den Kontrollen nicht entdeckt. Bis dann im fernen Europa ein Mann eben dieses Hemd kaufte, die Botschaft beim Auspacken fand, und um das Wunder perfekt zu machen, auch darauf reagierte. Der Hilferuf ist also gehört worden und tatsächlich unternahm der Käufer des Hemdes eine Reise und lernte den Menschen kennen, mit dem er eigentlich schon durch die Herstellung der Oberbekleidung verbunden war. Es entstand eine Freundschaft zwischen den Familien. Durch eine regelmäßige Zuwendung wurde unter anderem allen Kindern des armen Fabrikarbeiters der Schulbesuch gesichert.

Bei dieser Nachricht ist der Sender bekannt. Lange schwamm die Flaschenpost in der Weser und wartete darauf gefunden zu werden.

Wie wäre es, wenn wir uns hin und wieder vorstellten, wir würden mit unseren Konsumgütern auch Botschaften empfangen? Nur wären diese vermutlich unsichtbar. Aber wenn wir vielleicht genau hinspüren, ahnen wir unter Umständen, welches Band uns Menschen über den ganzen Erdball verbindet, auch wenn wir es nicht unbedingt sehen und anfassen können.

Ein Zeichen der Liebe….und der Verbundenheit.

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